Nun ist es schon das dritte Mal, dass wir in Kalkar an Orten Stolpersteine verlegen, wo bis in die Zeit des Nationalsozialismus jüdische Familien – oft über viele Generationen – zu Hause waren. Mit den Stolpersteinen gelingt es heute, zumindest die Namen der Familien Stern und Vyth in die Straßen der Stadt zurückkehren zu lassen und es so jedermann zu ermöglichen, quasi „im Vorbeigehen“ für einen Moment an jene zu denken, denen man hier alle Rechte, jede Würde, die Heimat und sogar das Leben genommen hat.
Bei der dritten Kalkarer Verlegung wurden dieses Mal zwölf Steine verlegt. Drei Steine liegen nun im Eingangsbereich der heutigen Pizzeria Rocco’s Markt 17, dort wohnten ehemals die Eheleute Sophie und Alexander Stern mit ihrer Pflegetochter Edith Vyth. Aus Archiv-Material hatte Bernhard Doll, Mitglied von „Stolpersteine in Kalkar“ eine frühere Aufnahme des Hauses, ein Foto von Edith Vyth sowie eine Zeitungsannonce, die auf das damalige Hut-Geschäft der Sophie Vyth (verheiratete Stern) aufmerksam macht, zusammengestellt.
Vor dem Haus begrüßten Viktor Weyers für den Verein „Stolpersteine in Kalkar“ sowie Günter Pageler als Stellvertretender Bürgermeister der Stadt Kalkar die Anwesenden. Trotz der frühen Stunde hatten sich viele interessierte Kalkarer Bürgerinnen und Bürger versammelt, die konzentriert und aktiv zuhörten. Leider konnten aufgrund der Corona-Bestimmungen Angehörige der Familie Vyth aus den Niederlanden, die diesen Termin fest eingeplant hatten, nicht anwesend sein. In ihrer Grußbotschaft drückten sie ihre Dankbarkeit für das Engagement der Initiatoren und der Stadt Kalkar aus. Die beiden Familien Vyth flüchteten nach Nimwegen, aber nur drei Kinder haben überlebt.
Monika Friese vom Verein „Stolpersteine Kalkar“ erklärte, dass in Kalkar viele Stolpersteine verlegt wurden, auf denen das Wort „Flucht“ zu lesen ist. Sie verwies in diesem Zusammenhang auch auf die aktuelle Flüchtlingszahl der Vereinten Nationen von 65 Millionen Menschen, die sich derzeit auf der Flucht befinden. Ihre Gedanken zum Thema Flucht beendete sie mit den Worten: „Das, was am nötigsten gebraucht wird, sind Menschen, die bereit sind zu unterstützen, zu helfen. Menschen, die den Mut aufbringen ihre eigene Sicherheit und Bequemlichkeit aufzugeben.“ Zur Zeit des Dritten Reiches gab es in Kalkar sowie an den meisten Orten und Städten viel zu wenige, die Nein zum NS-Regime sagten und verfolgten Menschen halfen. Nur vier der zwölf Menschen überlebten, an die die Steine erinnern sollen.
Rainer Hülsbrink vom Musikverein Kalkar verlieh mit seinen Klarinetten-Spiel der Veranstaltung wie schon bei den zwei vorherigen Verlegungen einen würdigen Rahmen.
Auch an der zweiten Verlegestelle, Grabenstraße 72 stellte Bernhard Doll Fotos auf. Auf ihnen sieht man auch das etwas zurückstehende Haus der Familien Gustav und Marcus Vyth, welches nach dem Krieg(!) abgerissen wurde.
Heinz Igel, Mitglied von „Stolpersteine in Kalkar“ berichtete, dass sich Gustav Vyth in den Jahren von 1924 bis 1929 als Ratsmitglied engagierte, 1937 aus Kalkar fliehen musste, in Nijmwegen verhaftet und schließlich im KZ Sobibor ermordet wurde. In Gedenken an Gustav Vyth, Josef und Elias Moses Spier erinnert heute der Vyth-Spier-Platz, nur wenige Meter vom Verlegeort entfernt. Die ebenfalls dort aufgestellte Thora-Rolle steht sinnbildlich für den Verlust des religiösen Mittelpunktes der ehemaligen jüdischen Gemeinde in Kalkar, deren ehemaliger Vorsteher Gustav Vyth war.
Zu Entrechtungen und Demütigungen von jüdischen Mitbürgern in Kalkar schilderte der Kalkarer Jochem Reinkens ein Ereignis aus den persönlichen Erinnerungen von Paul Vyth. Der junge Paul war ein begeisterter und talentierter Torwart beim TV Kalkar. Mitten in einem Spiel wurde er von der Xantener SS vom Platz abgeführt. Für ihn stand fortan der Ersatztorwart im Tor, der zwar weniger talentiert, aber Mitglied der NSDAP war. Weitaus demütigender musste es für ihn jedoch gewesen sein, als ihn seine einstigen Mannschaftskameraden durch die Kalkarer Straßen trieben. Die Aufschrift „… Jude… “ auf dem ihm umgehängten Schild, hat Paul Vyth zeit seines Lebens nie vergessen.
Zum Abschluss sprachen wiederum Schüler und Schülerinnen des Jan-Joest Gymnasiums und legten Rosen auf die Stolpersteine.
Weitere Fotos von der Verlegung finden Sie hier.